Symposium zu Folgen der Pandemie in der MENA-Region
Frau Prof. Profanter, in diesem Herbst fand am Campus Brixen ein zweitätiger Workshop mit Wissenschaftler:innen aus Großbritannien, den USA, Italien, dem Libanon, der Türkei, dem Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten statt. Das Thema: die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Bildungs- und Migrationspolitik in der MENA-Region. Was gab den Anlass, darüber in Brixen zu diskutieren?
Annemarie Profanter: Ich habe in der Vergangenheit als Dozentin an der Prince Mohammad Bin Fahd University in Saudi-Arabien sowie an der Dhofar University in Oman und der City University in Peshawar, Pakistan gearbeitet. Das Netzwerk aus Scholars aus der arabischen sowie westlichen Welt, das ich damals aufgebaut habe, hat bis heute Bestand und wurde durch meine Präsentationen auf zahlreichen Konferenzen stetig ausgebaut. Daraus ist eine Gruppe entstanden, die regelmäßig am Campus Brixen zusammenkommt. Auch in diesem Jahr bot das friedliche Brixen ein gutes Umfeld für Wissenschaftler:innen aus so verschiedenen Disziplinen wie Internationale Beziehungen, Migrationssoziologie, Stresspsychologie, kulturhistorische Rahmenbedingungen und Politikwissenschaft, um die komplexen Auswirkungen von Covid-19 auf die MENA-Gesellschaften aus unterschiedlichen akademischen Hintergründen und kulturellen Perspektiven zu betrachten und zu diskutieren. Gerade diese Diversität hat zu einer lebhaften Debatte über Aspekte der Covid-19-Pandemie geführt, die bisher noch nicht ausreichend erforscht waren.
Interdisziplinarität ist ein wesentliches Merkmal dieser Workshops?
Absolut. Diese disziplinäre Vielfalt, aber auch der kulturübergreifende Ansatz haben bereits in der Vergangenheit dazu beigetragen, das akademische Engagement und die Veröffentlichungen unter den Wissenschaftler:innen zu fördern. Dies hat bereits zur Veröffentlichung von zwei gemeinsamen Publikationen geführt: 2017 erschien bei Palgrave "Arab Women and the Media in Changing Landscapes: Realities and Challenges"; 2021 dann ein zweiter Band zum Thema "Migration and Integration Challenges of Muslim Immigrants in Europe. Debating Policies and Cultural Approaches" . Diese sehr fruchtbare laufende Zusammenarbeit und der akademische Austausch werden nun zu einer dritten Veröffentlichung dieser Reihe führen, da sich alle Teilnehmenden über die Notwendigkeit einig waren, aus den vielfältigen Erfahrungen mit der Pandemie Best-Practice-Programme zu entwickeln.
Gibt es auch kulturell bedingt unterschiedliche Perspektiven auf die behandelten Thematiken?
Gerade wenn es um Länder geht, in denen eine starke Zensur herrscht, wird auch über die Publikationen oft ein verzerrtes Bild der Realität gezeichnet. Und mir ist es immer wieder passiert, dass dann selbst Forschende aus diesen Ländern, die schon seit längerer Zeit im Ausland leben, eine falsche Wahrnehmung haben. Umso wichtiger ist es, auf neutralem Terrain einen akademischen Austausch zu solchen Themen zu pflegen und sich dabei eben auch für andere Perspektiven zu öffnen.
Mittlerweile ist vor allem der Mittlere Osten in eine noch heftigere Krise gestürzt. Ist es möglich, eine generelle Schlussfolgerungen zu ziehen, wie sich die Ausnahmesituation Pandemie auf diese Region ausgewirkt hat?
Es gibt unheimlich viele unterschiedliche Aspekte, die betrachtet werden können. Gemeinsam mit Kolleg:innen hatte ich beispielsweise einen Artikel zur Situation von Migrant:innen im Sanitätssektor im Oman während der Pandemie veröffentlicht. Generell konzentriere ich mich in meiner Forschung vor allem auf die Situation von Frauen. Und diesbezüglich hat Covid-19 sicherlich zu einer Re-Traditionalisierung geführt. Wie alle benachteiligte Gruppen litten Frauen besonders unter den Auswirkungen von Lockdowns und Isolation. Aber vor allem in Ländern wie Saudi-Arabien und Oman ist auch zu beobachten, dass sich Frauen infolge des verstärkten Rückzugs in das eigene Heim wieder viel stärker mit ihrer traditionellen Rolle identifiziert haben und traditionelle Lebensentwürfe auch nach dem Ende der Pandemie ein Revival feiern. Doch es gab auch viele andere Beiträge zu Aspekten der Covid-19-Pandemie, die bisher noch nicht ausreichend erforscht waren.
Haben Sie einige Beispiele?
Die reichen von Studien zur Situation von zentralasiatischen Hausangestellten oder syrischen Flüchtlingen in der Türkei bis zu einem pakistanischen Medical Center in Dubai, das von der pakistanischen Community dort betrieben wird. Interessant war beispielsweise auch ein Beitrag zu Oman, wo die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor bei der Bewältigung der Pandemie eine wichtige Rolle spielte, oder die Diskussion über Auswirkungen von Covid-19 auf hochqualifizierte Migrantinnen und Studentinnen in Saudi-Arabien. Wir hatten in dieser Ausgabe, die übrigens die letzte dieser Reihe war, eine interessante Mischung aus altbekannten und neuen Gesichtern, die das Netzwerk noch einmal bereicherten und zahlreiche Impulse gab, die sicherlich zu weiteren gemeinsamen Initiativen führen werden.
(su)